Aus Stein geboren

Willkommen

Goldbeschnäbelt hängen wir
trophäengleich – sind drei von vier.
Doch wer könnte uns erjagen?
Aus Stein geboren, frei geschlagen,
sind Wächter über Kunst und Räume.
Tritt ein und sieh und wage Träume.


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9. November 1938


Mama, Mama ich weiß es bestimmt,
die Augen der Menschen gläsern sind.
Sieh nur, es spiegelt sich Feuer darin.
Doch keinem Menschen kommt’s in den Sinn
zu löschen, zu helfen, zu handeln.

Mama, Mama ich weiß es bestimmt,
die Ohren der Menschen wächsern sind.
Das Weinen, das Greinen stört sie nicht.
Gleichgültigkeit spiegelt ein jedes Gesicht.
Kein Mitleid, kein Erbarmen sie zeigen.

Mama, Mama ich weiß es bestimmt,
die Nasen der Menschen nur Kloben sind.
Damit kann man Elend und Not nicht riechen
und auch nicht die Kranken, schon gar nicht die Siechen.
Darum will auch niemand uns helfen.

Mama, Mama ich weiß es bestimmt,
die Münder der Menschen nur Höhlen sind.
Darin hallt es wieder. Ein Echo das spricht,
denn der Geist in den Köpfen ist nicht von Gewicht.
Sie sind’s nicht gewohnt selbst zu denken.

Mama, Mama ich weiß es bestimmt,
die Herzen der Menschen Kristallherzen sind.
Denn wären es Herzen aus Fleisch und Blut,
voller Liebe, Hoffnung, Glauben und Mut,
wir könnten in Frieden leben.

2017/November


Schlangenbrut
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Einst Medusens Haupt um züngelnde,
Äskulaps Stab um kringelnde.
Wirst von der Welt als Wurm betrachtet
Verachtet?
Im Staube kriechende Kreatur.
Das Böse läg in deiner Natur.
Vom Schöpfer zu Boden geworfen.
Verworfen?
Geschlüpft, nicht geborene Schlangenbrut.
Nackt nicht geschorene – Ausgeburt
Der Hölle wirst du genannt.
Verkannt?
Aus dem Neste drängelndes Ur-Reptil.
Zu töten ist fortan dein Lebensziel.
Allein und verborgen
Zu morden.
Du mit gespaltener Zunge zischelndes Vieh,
Giftzahn bewehrte Natterie.
Ein Fakir spielt dir zum Tanz.
Komm tanz!

2016/April


Der Engel des Herrn
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Ein Engel stellte sich mir in den Weg.
Er hob warnend die Arme.
Ich hieb sie ihm ab und  ging weiter den Weg.
Der Engel hielt mit mir Schritt.
Er drängte zur Umkehr.
Ich zerschlug ihm die Beine und blieb auf dem Weg.
Der Engel rief meinen Namen.
Er blickte mich an. In seinen Augen spiegelte sich mein Zorn.
Ich riss ihm den Kopf ab.
Da umfingen mich seine Flügel.
Ich wurde gehalten, ganz sanft
und begann zu weinen.
Als meine Tränen versiegt waren, konnte ich endlich sehen.
Und ich sah den Abgrund, vor dem ich stand.

2015 /Oktober


Lüge
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Meist
fällst du über glatte Zungen
schmeichelnd in die Welt.
Stets findest du ein Ohr,
dem es gefällt von dir zu hören,
und den, der ist bereit zu schwören,
dass du allein die Wahrheit bist.
Was dich gezeugt ist Hinterlist.
Von Einfalt wirst du fortgetragen.
Bis keiner wagt es mehr zu sagen,
was wahr und was gelogen ist.

2016/Mai/18


Kissen 

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Daunen befüllte,
Seidig bezogene…
Ich ließ mich hinein sinken,
Wollte den Alltag abstreifen,
Mich umfangen lassen von Zeitlosigkeit.
Dem Traumweltenraunen ergeben lauschend
Zogen plötzlich Gedankenwolken auf.
Zuerst flüchtig und nichtig,
wurden sie langsam dunkel und schwer.
Und erbarmungslos fielen Gedankentropfen
als stetiger Schauer in meine nächtliche Welt.
Und Daunen und Seide wurden
zu hartem Gestein.

2015/Oktober

(veröffentlicht Frankfurter Bibliothek 2016)


Skulpturen des Bildhauers Ulf Eggert